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Rechtschreibreform: Aktuell
Extraseite: Die F.A.Z. kapituliert (02.12.2006)

Im Artikel der F.A.Z. bzw. FAZ-NET vom 02.12.2006 "In eigener Sache · F.A.Z. paßt Rechtschreibung an" heißt es:

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und FAZ.NET werden ihre Rechtschreibung zum 1. Januar 2007 den in den Schulen gebräuchlichen Schreibweisen weitgehend anpassen. Die Redaktion wird dabei nach Möglichkeit die wieder zugelassenen Schreibweisen der bewährten Rechtschreibung verwenden. Dieser Schritt dient der Einheitlichkeit der Rechtschreibung. Er wurde möglich, weil Einwände der Reformgegner im reformierten Regelwerk berücksichtigt wurden. Diese Entscheidung ist mit dem „Spiegel” und mit der „Süddeutschen Zeitung” abgestimmt.

Die Reform der Rechtschreibreform erlaubt in den meisten Fällen wieder die Verwendung bewährter Schreibweisen, wie sie vor der Reform gebräuchlich waren und außerhalb der Schulen immer noch gebräuchlich sind. In zahlreichen Fällen nennen die Wörterbücher mehrere zulässige Varianten, wobei die Redaktion des „Wahrig” in der Regel die bewährten Schreibweisen empfiehlt, während die Duden-Redaktion entgegen den Empfehlungen des Rates für Rechtschreibung überwiegend der reformierten Schreibweise den Vorzug gibt. In Zweifelsfällen werden sich die F.A.Z. und FAZ.NET deshalb künftig vor allem an Wahrigs Wörterbuch „Die deutsche Rechtschreibung” orientieren.


Ein paar Feigenblätter hat sich die F.A.Z. verordnet: Die nebenstehenden Wörter will sie weiter "bewährt" schreiben. Die Redaktion erläutert hierzu:

Die Reformer verweisen zur Begründung ihrer Fehlentscheidung auf die sogenannten Volks-Etymologien. Ihrer Ansicht nach haben sich irrtümliche Herleitungen eingebürgert, so daß nun falsche Schreibweisen zu folgen hätten. Derartige Begründungen – und ihre Auswirkungen auf die Rechtschreibung – sind jedoch so unsinnig, daß wir in einigen Ausnahmefällen beschlossen haben, dem reformierten Regelwerk nicht zu folgen.
 
"Reform"-SchreibungF.A.Z-Schreibung
behändebehende
einbläuen, verbläueneinbleuen, verbleuen
gräulich, Gräuelgreulich, Greuel
leidtunleid tun
nummerierennumerieren
platzierenplazieren
raurauh
QuäntchenQuentchen
schnäuzenschneuzen
StängelStengel
TollpatschTolpatsch

In seinem Kommentar "Um der Einheitlichkeit willen" (im folgenden ein Auszug) versucht F.A.Z.-Redakteur Hubert Spiegel, die Entscheidung aus der "Verantwortung gegenüber den Kindern" abzuleiten:

Jeder, der mit Fragen der Rechtschreibung zu tun hat, wünscht sich nach langen Jahren des Streits und der Verwirrung nichts sehnlicher als ein klares und einheitliches Regelwerk. Das Hin und Her muß endlich ein Ende haben.

Dieser Wunsch geht über alle Gräben hinweg, er eint trotz allen Meinungsverschiedenheiten die Reformer wie die Anhänger der über Jahrzehnten bewährten Rechtschreibung. Erfüllen kann er sich jedoch nur, wenn alle Beteiligten die Einheitlichkeit der Rechtschreibung über die Einzelheiten stellen, die nach wie vor strittig sind. Deshalb wird diese Zeitung vom 1. Januar 2007 an ihre Rechtschreibung weitgehend dem Schulgebrauch angleichen. Sie tut dies, weil die Reform der Reform die bewährte Schreibweise in wesentlichen Teilen wieder für zulässig erklärt hat. Wer will, kann also weiterhin weitgehend der bewährten Rechtschreibung folgen, und diese Zeitung wird dies tun. Wo immer es möglich ist, wird sie auch in Zukunft die bewährten Schreibweisen anwenden. Damit ist gewährleistet, daß die Redaktion ihr wichtigstes Handwerkszeug, die Sprache und die Rechtschreibung, weiterhin so nutzen und einsetzen kann, wie ihre Arbeit es verlangt und wie unsere Leser es gewohnt sind.

Theorie und Praxis

Als diese Zeitung vor sechs Jahren von der 1999 eingeführten reformierten Schreibweise zur bewährten zurückkehrte, zog sie die Konsequenz aus den Erfahrungen, die sie ein Jahr lang mit der untauglichen neuen Rechtschreibung gesammelt hatte. Die Entscheidung war aber auch ein Zeichen, das sich gegen die Willkür richtete, mit der die Kultusminister und die von ihr in der zwischenstaatlichen Kommission inthronisierten Experten die Sprachgemeinschaft behandelten. Die Reform, die ohne jede Not, aber mit großem Ehrgeiz betrieben wurde, ignorierte vollständig, daß Sprache und Rechtschreibung sich organisch entwickeln und sich dabei nicht um die Vorgaben der Sprachwissenschaft kümmern. Daß es im Deutschen Schreibweisen gibt, deren Entstehung der Linguist nicht zu erklären vermag, ist ein Problem der Sprachwissenschaften und hätte es bleiben sollen. Es war ein Problem der Theorie. Durch die Reform wurde es jedoch zu einem Problem der Praxis: Plötzlich schien es jedermann zu betreffen.

[...]

Verantwortung gegenüber den Kindern

Der anhaltende Widerstand der meisten deutschen Schriftsteller und ihrer Verlage, die Not von Schülern, Lehrern und Eltern, die Proteste in den Medien und nicht zuletzt die Empörung in weiten Teilen der Öffentlichkeit – all dies hat dazu geführt, daß die Rechtschreibreform mehrfach reformiert wurde. Dies wäre ohne die unnachgiebige Haltung der Öffentlichkeit nie geschehen, und wir wissen, daß viele unserer Leser nach wie vor jeden Kompromiß in dieser Frage ablehnen. Im Privatleben ist eine solche rigorose Haltung aufrechtzuerhalten, denn privat kann auch weiterhin jedermann schreiben, wie er es für richtig hält.

Aber für eine Zeitung verhält sich die Sache anders: Wir fühlen uns auch den Kindern gegenüber in der Verantwortung, die in der Schule die reformierten Regeln erlernen müssen. Ihnen und allen anderen sind wir es schuldig, daß wir für die Einheitlichkeit der Rechtschreibung alles tun, was in unserer Macht steht. Deshalb hat diese Zeitung ebenso wie andere Blätter beschlossen, den Weg des Kompromisses zu gehen. Unsinnigen Regeln werden wir auch in Zukunft nicht folgen: Schreibweisen wie Stängel statt Stengel oder Tollpatsch statt Tolpatsch wird es auch in Zukunft in dieser Zeitung nicht geben. Nach jahrelangem Streit ist die Reform mit großem Aufwand meist wieder bei dem angelangt, was zu verbieten ihre Verfechter vor langen Jahren einmal angetreten waren: bei den bewährten Schreibweisen. Das ist beileibe kein Verdienst der Reformer.

Kommentar

Ihre Entscheidung sei aus "Verantwortung gegenüber den Kindern" gefällt worden und diene der "Einheitlichkeit der Rechtschreibung", will die F.A.Z. glauben machen. Solche Begründungsversuche sind jedoch alles andere als stichhaltig, vielmehr unsinnig und widersprüchlich:

  1. Der erste Artikel kündigt an, die F.A.Z. werde ihre Rechtschreibung zum 1. Januar 2007 "den in den Schulen gebräuchlichen Schreibweisen weitgehend anpassen", "weil Einwände der Reformgegner im reformierten Regelwerk berücksichtigt wurden", und führt dann aus: "Die Reform der Rechtschreibreform erlaubt in den meisten Fällen wieder die Verwendung bewährter Schreibweisen, wie sie [...] außerhalb der Schulen immer noch gebräuchlich sind." Woran will sie sich also anpassen? Dieser Widerspruch läßt sich auf zweierlei Weise auflösen: Nimmt man an, daß die Zeitung ab 2007 "in den meisten Fällen" der jeweils herkömmlichen Variante den Vorzug gibt, ist ihre Ankündigung, sie werde "ihre Rechtschreibung zum 1. Januar 2007 den in den Schulen gebräuchlichen Schreibweisen weitgehend anpassen", gelogen.
  2. Der Artikel stellt zu Recht fest, daß "die Duden-Redaktion entgegen den Empfehlungen des Rates für Rechtschreibung überwiegend der reformierten Schreibweise den Vorzug gibt", also die Einheitlichkeit konterkariert. Mit ihrer kleinen Liste etymologisch korrekter Schreibungen dient die F.A.Z. der sehnlichst gewünschten Einheitlichkeit aber ebenso wenig. Sie kann sich offenbar nicht entscheiden, sie möchte beides. Die wenigen, zum Teil kaum gebräuchlichen Wörter der kurzen Liste sind nur das lexikalische Feigenblatt der F.A.Z. für ein besonders beschämendes Merkmal der "Reform".
  3. Die politisch-demokratisch wie sprachwissenschaftlich korrekte Definition der Orthographie durch die Mehrheitsmeinung und -praxis der Schreibgemeinschaft kommt in beiden F.A.Z.-Artikeln nicht mehr vor: Der Begriff der Einheitlichkeit meint die Einheit mit den anderen Medien und den (Schul-) Behörden; die Einheit mit der deutschen Schreibgemeinschaft und ihren Lesern ist der F.A.Z. gleichgültig. Auch in ihrer undemokratischen Ignorierung der ablehnenden Haltung der Bevölkerung hat sich die F.A.Z. erfolgreich "angepaßt".
  4. Die Ausführungen zur "Einheitlichkeit" sind banal: Erfüllen könne sich der Wunsch nach Einheitlichkeit nur, "wenn alle Beteiligten die Einheitlichkeit der Rechtschreibung über die Einzelheiten stellen, die nach wie vor strittig sind." Bei jeder Reform streben Regierung und Opposition in einem Parlament nach "Einheitlichkeit": Die Opposition möchte, daß das bestehende Gesetzt für alle Bürger Gültigkeit behält, die neue Regierung will dasselbe für das reformierte Gesetz. Gäbe eine Seite ihre Position nur "um der Einheitlichkeit willen" auf, so würde man das zu Recht als dämlich ansehen. Als Mitläuferin ist die F.A.Z. kaum weniger gefährlich, als Überzeugungstäter es sind.
  5. Die "Reform" habe vollständig ignoriert, meint die F.A.Z., "daß Sprache und Rechtschreibung sich organisch entwickeln und sich dabei nicht um die Vorgaben der Sprachwissenschaft kümmern." Diese Formulierung zeigt, daß auch F.A.Z.-Redakteure nichts von Sprachwissenschaft verstehen: Zwar haben sich die "Reformer" tatsächlich über Eigenschaften und natürliche Dynamik der Sprache hinweggesetzt, aber "Vorgaben" der Sprachwissenschaft gibt es dennoch nicht. Sprachwissenschaft ist als solche (d. h. als Wissenschaft) deskriptiv, sie beschreibt und versucht zu erklären, sie schreibt nicht vor. Nur eine ideologisch bzw. staatlich gelenkte und deshalb präskriptive Pseudo-Linguistik gerät in Konflikt mit der organischen Entwicklung der Sprache.
  6. Vollends unglaubwürdig wird die F.A.Z mit ihrer Behauptung, sie handle aus "Verantwortung gegenüber den Kindern":

Warum tut sich die F.A.Z. eigentlich so schwer, die Wahrheit über ihre Entscheidung zu sagen? In Wahrheit stellt sie aus demselben Grunde auf Schulschreibung um, aus dem sie es schon einmal (1999) getan hat: aus der großen Sehnsucht des Mitläufers heraus, nicht auffallen zu wollen. Man will einfach nicht weiter abseits stehen als vermeintliches Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert, man will dazu gehören – nicht zur Masse des (schreibenden) Volkes natürlich, sondern zur Gemeinschaft der Entscheidungsträger, auch wenn es nur die Gemeinschaft der Mitläufer ist. Psychologisch ist es derselbe Grund, aus dem Millionen von Deutschen, auch völlig unpolitische und gutmeinende, vor Jahrzehnten den "Hitlergruß" entboten. Damals allerdings war der politische Druck deutlich stärker als heute ...



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