Zum Frameset "Rechtschreibung & RSR"

Geschichtlicher Abriß der Rechtschreibung Letzter Eintrag

Die Geschichte der Rechtschreibung ist nicht lang: Jahrhundertelang schrieb man individuell so, wie man es für richtig hielt, die politische und geographische Aufteilung gerade des deutschen Sprachgebiets begründete etliche Schreibvarianten. Vor allem im Mittelalter waren es zudem nicht allzu viele Menschen, die mit der Verschriftlichung von Sprache überhaupt etwas zu tun hatten: Lesen und vor allem Schreiben war eigentlich nur im Klerus, Adel und Kaufmannstand verbreitet, Bücher konnte sich kaum jemand leisten, und ihr Inhalt war fast ausschließlich religiöser, philosophischer und historischer Natur – politische Pamphlete waren seltene Ausnahmen, Inhalte wurden häufig über Bilder bzw. Symbole transportiert.

Erst das Aufkommen der Nationalstaaten, bessere Verkehrsverhältnisse und Schulbildung für breite Bevölkerungsschichten sorgten für mehr Schriftverkehr, der so schnell an Bedeutung gewann und die Forderung einer Vereinheitlichung der Schrift begründete. Diese wurde natürlich von der Instanz betrieben, die sich geradezu durch die Vereinheitlichung aller Lebensbereiche definierte: dem (National-)Staat und seinen Behörden. Nach der Schaffung des Deutschen Reiches 1871 berief der preußische Kultusminister 1875 eine Konferenz zur "Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung" ein, an der u. a. Konrad Duden teilnahm, dessen Name jedem Deutschen heute bekannt ist. Ihre Beschlüsse wurden von den meisten Ländern jedoch abgelehnt, und Reichskanzler Bismarck verbot den Beamten unter Strafandrohung sogar, die neuen Schreibregeln zu befolgen.

Schließlich legte 1901 die vom Reichsamt des Innern einberufene 2. Berliner Orthographiekonferenz die seither übliche Rechtschreibung fest, die ein Jahr später vom damaligen Bundesrat als für alle deutschen Länder verbindlich erklärt wurde und im Wörterbuch Konrad Dudens ihren Niederschlag fand. Dieses paßte die Rechtschreibung in der Folgezeit allerdings dem tatsächlichen Schreibgebrauch an, wenn es Abweichungen von den 1901 beschlossenen Regeln feststellte.

Der Staat hielt also seine Bürger an, so zu schreiben, wie mehrheitlich geschrieben wurde. Das änderte sich erst im Dritten Reich: Jetzt war die Sprache auch in ihrer schriftlichen Ausdrucksform politischen Zielen unterworfen, und es bestand die "Chance", die Rechtschreibung ohne zu erwartenden Widerstand der Bevölkerung totalitär zu reglementieren. Das Kriegsende verhinderte diesen Versuch zunächst, aber schon bald gab es neue Reformbestrebungen ...

1788 Johann Christoph Adelung formuliert in Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie Regeln für die Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Groß- und Kleinschreibung, die Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Worttrennung und Zeichensetzung. Adelung mißt dem Schreibgebrauch große Bedeutung bei und beeinflußt Wieland und Goethe.
1814 Johann Christian August Heyses Theoretisch-praktische deutsche Grammatik oder Lehrbuch zum reinen und richtigen Sprechen, Lesen und Schreiben der deutschen Sprache erscheint. Es geht von gegenseitiger Beeinflussung gesprochener und geschriebener Sprache aus.
1854 Die Gebrüder Grimm veröffentlichen ihr Deutsches Wörterbuch, Band 1. Ziel ist eine von regionalen Aussprachen unabhängige Neuregelung, die aber historische Schreibweisen berücksichtigt.
1876 Die erste Orthographiekonferenz zur "Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung" endet ergebnislos.
1869 Eine orthographische Konferenz in Österreich erarbeitet Grundsätze, die im Österreichischen Schulboten veröffentlicht werden, sich aber nicht durchsetzen.
1872 Konrad Duden veröffentlicht Die deutsche Rechtschreibung. Seine Ziele sind Vereinfachung und Konsistenz vor allem durch phonologische, aber auch etymologische und bedeutungsdifferenzierende Schreibung.
1876 Die "I. Orthographische Konferenz" beschließt zahlreiche Regeln und neue Schreibungen einzelner Wörter, z. B. t statt th, ss nach kurzem Vokal, Eindeutschung von Lehnwörtern (vor allem k statt c). Die Reform wird jedoch nach Protesten nicht umgesetzt.
1879 In Österreich wird nach kurzem Vokal die ss-Schreibung statt ß eingeführt, wie sie 50 Jahre zuvor von Johann Christian August Heyse propagiert worden war (siehe 1901).
1880 Konrad Duden veröffentlicht, basierend auf der "Preußischen Schulorthographie", sein "Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache". Bismark lehnt es ab.
1901 Die "II. orthographische Konferenz", in der vor allem Behörden vertreten sind, beschließt die "Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis", die durch den "Duden" allgemeine Anerkennung finden. Die beschlossenen Regeln sind weniger radikal als die von 1876, u. a. wird die Heysesche ss-Schreibung abgelehnt und daraufhin 1902 in Österreich wiederabgeschafft.
1903 Die 1901 beschlossenen Orthographie wird am 1. Januar in den Behörden des deutschen Reiches eingeführt und am 1. April für die deutschen Schulen verbindlich.
1924 Der Schweizer "bund für vereinfachte rechtschreibung" wird gegründet; sein "minimalprogramm" fordert die Kleinschreibung aller Wörter.
1931 In seinem Erfurter Rechtschreibungsprogramm macht der Vertretertag des Bildungsverbandes der deutschen Buchdrucker einen Reformvorschlag, der in späteren Entwürfen immer wiederkehren wird (gemäßigte Kleinschreibung, mehr Getrenntschreibung, Eindeutschung von Fremdwörtern, Trennung nach Sprechsilben, Beseitigung der Dehnungszeichen und der Bezeichnungen der Vokalkürze, Ersetzung "schwieriger" Buchstaben durch andere (f statt v, s statt ß etc.; Beispiele: frefel, fi statt Vieh).
1935 Auf Drängen der Münchener "Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums", kurz "Deutsche Akademie" (seit 1933), wird ein dem Reichsminister des Innern unterstehendes "Deutsches Sprachamt" geschaffen, allerdings ohne Kompetenzen.
1941 Reichserziehungsministers Bernhard Rust (seit 1934) setzt eine Orthographiekommission ein. Deren "Vorschläge zur Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung" ähneln dem "Erfurter Programm" (gemäßigte Kleinschreibung, ss nach kurzem Vokal, kein Komma vor Hauptsätzen etc.) und finden sich Jahre später in den "Stuttgarter Empfehlungen" von 1954 wieder.
1944 Eine vorsichtigere reduzierte Teilreform des Reichsministers sieht vor:
  • Eindeutschung von Fremdwörtern;
  • vermehrte Groß- und Auseinanderschreibung;
  • Konsonanten werden höchstens zweimal geschrieben: Schiffahrt, Schiffracht;
  • Trennung nach Sprechsilben: Pä-da-go-ge;
  • Kein Komma vor und und oder, auch nicht vor Hauptsätzen.
Diese "Kleine Rustsche Reform", die in vielen Einzelheiten der Schreibreform von 1996 gleicht, wird angesichts der sich abzeichnenden Kriegslage am 24. August durch eine Anordnung Hitlers gestoppt.
1946 SBZ: Die "Vorschläge des Vorausschusses zur Bearbeitung der Frage der Rechtschreibung bei der deutschen Verwaltung für Volksbildung" werden vorgelegt.
1950 BRD: Die Kultusministerkonferenz befaßt sich erstmals mit Reformplänen.
1954 Die sog. Stuttgarter Empfehlungen (genau: "Empfehlungen zur Erneuerung der deutschen Rechtschreibung") machen Reformvorschläge, die von Schriftsteller wie Thomas Mann, Dürrenmatt und Hesse abgelehnt werden. Die Reform scheitert.
1955 Die "Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder" teilt unter der Rubrik "Sonstiges" im Bundesanzeiger vom 15. Dezember 1955 mit, daß fortan in Zweifelsfällen der Sprache "die im Duden gebrauchten Schreibweisen und Regeln verbindlich sind." Damit wird zugleich ein Verlags-Monopol begründet, das bis zur Verabschiedung der Zwischenstaatlichen Vereinbarung über die Rechtschreibreform von Deutschland, Österreich und der Schweiz im Juli 1996 halten soll.
1956 Nach der Enteignung des Verlages in Leipzig erscheint der Duden beim "Bibliographischen Institut (AG)" in Mannheim ("West-Duden"), während der "Ost-Duden" vom "Volkseigenen Betrieb Bibliographisches Institut" in Leipzig herausgegeben wird.
1958 Die sog. Wiesbadener Empfehlungen ("Empfehlungen des Arbeitskreises für Rechtschreibung") werden vorgelegt.
1962 Erneute Vorschläge der "Wiesbadener Empfehlungen" werden von der Schweiz und Österreich abgelehnt.
1973 Auf dem Kongreß "vernünftiger schreiben" in Frankfurt setzen sich die "Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft" (GEW), der "Verband deutscher Schriftsteller" und das "PEN-Zentrum Deutschland" vor allem für die Kleinschreibung der Substantive ein. Begründung: Die Rechtschreibung bevorzuge die Gebildeten und sei ein kapitalistisches Herrschaftsinstrument.
1975 Das "Gutachten zu einer Reform der deutschen Rechtschreibung" wird vorgelegt. Einige Verlage publizieren jetzt in "gemäßigter Kleinschreibung".
1977 Die "Kommission für Rechtschreibfragen" wird am "Institut für deutsche Sprache" (IdS) in Mannheim gegründet.
1982 Eine Kommission zur Rechtschreibreform aus der BRD und DDR, der Schweiz und Österreich beschließt eine gemäßigte Kleinschreibung, die aber an Protesten scheitert.
1984 Erneuter Reformversuch der Kultusministerkonferenz; ein erstes internationales Gespräch findet 1986 in Wien statt.
1987 Die Kultusministerkonferenz und das Bundesinnenministerium beauftragen das "Institut für Deutsche Sprache" in Mannheim, Vorschläge für die Rechtschreibreform zu erarbeiten. Mit einer Ausnahme treten alle Mitglieder der 1977 gegründeten Kommission für die gemäßigte Kleinschreibung ein. Schriftsteller, Lehrer oder Journalisten sind nicht vertreten.
1988 Das Institut für Deutsche Sprache legt einen ersten Entwurf vor, der auf breiten Protest stößt.
1992 Ein überarbeiteter Entwurf wird in Österreich und der Schweiz teilweise akzeptiert. In Deutschland wird er von der Arbeitsgruppe der Kultusministerkonferenz zunächst nur interessierten Verbänden vorgestellt:
  • vermehrte Groß- und Auseinanderschreibung (siehe 1944);
  • weitgehende Aufhebung von Unterscheidungsschreibungen (nicht so weitgehend wie 1931);
  • Trennung nach Sprechsilben;
  • Eindeutschung von Fremdwörtern (siehe jeweils 1944);
  • ss nach kurzem, ß nach langem Vokal (siehe 1941);
  • dreifache Konsonanten nach kurzem Vokal (Schifffahrt, Schifffracht);
  • Liberalisierung der Zeichensetzung.
1994 Vertreter der Kultus- und Innenministerien Österreichs, der Schweiz und der Bundesrepublik einigen sich mit Sprachwissenschaftlern aller drei Staaten auf einen gemeinsamen Entwurf. Durch Berater sind auch Belgien, Dänemark, Italien (Südtirol), Liechtenstein, Luxemburg, Rumänien und Ungarn beteiligt.
1995 Die "Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis" wird veröffentlicht. Im Dezember desselben Jahres stimmen die Kultusminister und Ministerpräsidenten einer veränderten Fassung zu; sie sind vor allem gegen die eingedeutschte Schreibung von Fremdwörtern.
1996 Juli: Eine gemeinsame Absichtserklärung zur Schreibreform wird durch die zuständigen Stellen Belgiens, Deutschlands, Italiens, Liechtensteins, Österreichs und der Schweiz in Wien unterzeichnet.
Juli–August: Am 2. Juli erscheint noch vor dem neuen Duden im Bertelsmann-Verlag das erste präskriptive Wörterbuch in der geplanten neuen Orthographie: Die neue deutsche Rechtschreibung. Die Umsetzung des amtlichen Regelwerkes ist jedoch fehlerhaft und inkonsequent. Am 22. August folgt die 21. Auflage des Rechtschreib-Dudens, der ebenfalls Fehler enthält. Nachdrucke des Bertelsmann-Wörterbuchs passen sich in den Folgemonaten allmählich dem Duden an.
August: Zehn Bundesländer führen die neuen Regeln an den Schulen ein und schaffen so zwei Jahre vor dem vereinbarten Inkrafttreten "vollendete Tatsachen", auf die sie sich fortan berufen, um die Unzumutbarkeit der Rücknahme der Reform zu begründen.
September: Die Verlage bbv und Bertelsmann verschicken 40.000 Exemplare des neuen Bertelsmann-Wörterbuchs Die neue deutsche Rechtschreibung an alle allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen. Bertelsmann wird so neben Duden der zweite deutsche Wörterbuchverlag.
Oktober: Das "Institut für Demoskopie Allensbach" ermittelt, daß 75 Prozent gegen die Reform sind, 12 Prozent sich dafür aussprechen und 13 Prozent unentschieden sind.
Buchmesse: Schriftsteller, Germanisten, Verleger und Journalisten fordern auf der Frankfurter Buchmesse, an der konventionellen Rechtschreibung festzuhalten.
1997 Mai: Am 14.05. spricht sich der Haushaltsausschuß des Bundestages parteiübergreifend und mit deutlicher Mehrheit gegen die Rechtschreibreform aus und der Kultusministerkonferenz die Kompetenz für die Reform der deutschen Schriftsprache ab.
Die Kultusministerkonferenz beauftragt eine zwischenstaatliche Kommission für die deutsche Rechtschreibung, die Reform zu begleiten und die künftige Sprachentwicklung zu beobachten.
Dezember: Die Zwischenstaatlichen Kommission macht in ihrem ersten von vier Berichten "Vorschläge zur Präzisierung und Weiterentwicklung aufgrund der kritischen Stellungnahmen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung". Diese sind liberaler als die geplante Fassung und berücksichtigen u. a. bei der Getrennt- und Zusammenschreibung die Betonung.
1998 Februar: Die Kultusminister und das Bundesinnenministerium lehnen alle Vorschläge der Zwischenstaatlichen Kommission zur Änderung der teilweise als fehlerhaft erkannten Reform ab.
März: Der Deutsche Bundestag spricht sich parteiübergreifend gegen die Reform aus. Die Bundesregierung (die alte wie die neue) ignoriert den Beschluß.
April–Mai: Fast 600 Professoren der Sprach- und Literaturwissenschaften sprechen sich in einer Erklärung gegen die "Rechtschreibreform" aus.
14. Juli: Das Bundesverfassungsgericht ermächtigt die Kultusminister, die Schreibreform ohne gesetzliche bzw. parlamentarische Ermächtigung und gegen die überwiegende Ablehnung durch die Bevölkerung auf dem Erlaßwege an Schulen durchzusetzen.
1. August: Die Rechtschreibreform wird offiziell an Schulen eingeführt; bis zum 31. Juli 2005 gilt eine Übergangsfrist, bis zu der die bisherigen Schreibweisen nicht als falsch, sondern als "überholt" gelten sollen.
27. September: In einem Volksentscheid lehnt die Bevölkerung Schleswig-Holsteins die Reform ab. Daraufhin wird wieder die konventionelle Rechtschreibung gelehrt, die neue Schreibung aber toleriert.
Dezember: Die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen (AFP, AP, dpa, ddpADN, epd, KNA, Reuters, sid, vwd, APA (Österreich) und SDA (Schweiz) beschließen am 16.12.98, ab 1.8.1999 "die Reform der deutschen Rechtschreibung weitestgehend und in einem Schritt umzusetzen."
1999 Juni: Die Arbeitsgruppe der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen bestätigt am 10.6.1999 ihren Beschluß zur Umsetzung der Reform und veröffentlicht eine überarbeitete Beispielliste der neuen Schreibweisen, die um eine Liste der feststehenden Begriffe und eine Ausnahmeliste zur Getrennt- und Zusammenschreibung erweitert wurde.
1. August: Die Deutsche Presseagentur (dpa) und andere deutschsprachige Nachrichtenagenturen versenden ihre Texte in einer Fassung, die der Zwangsreform weitgehend, aber nicht vollständig entspricht.
17. September: Auf Antrag der CDU-Fraktion kippt der Landtag in Kiel einstimmig den Volksentscheid der Schleswig-Holsteiner vom Vorjahr und führt die Schreibreform wieder ein.
November: Der Vater dreier schulpflichtiger Kinder in Schleswig-Holstein scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht mit seiner Beschwerde gegen die "Rechtschreibreform" an Schulen. Das Gericht nimmt die Beschwerde aus formalen Gründen nicht an. (Aktenzeichen: BVG 2 BvR 1958/99).
2000 März: Die Zwischenstaatlichen Kommission macht in ihrem zweiten Bericht keine Vorschläge; die beschränkt sich darauf, die einheitliche Umsetzung der "Rechtschreibreform" zu betreiben.
1. August: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) kehrt als erste große Zeitung zur konventionellen Schreibung zurück.
August: Der Rechtschreib-Duden erscheint in seiner 22. Auflage; diese enthält eine Reihe von Schreibweisen, die sich aus dem amtlichen Regelwerk nicht ableiten lassen.
1. Oktober: Der Deutsche Hochschulverband schließt sich dem Schritt der FAZ mit seiner Zeitschrift Forschung & Lehre sowie seinem Schriftverkehr an.
2001 September: Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Imas in Linz halten 57% der Österreicher die "Reform" für nicht gut, 8% haben sich an die neuen Regeln angepaßt, 56% schreiben wie gewohnt, 30% wollen die Neuregelung außer Kraft setzen, 50% dagegen wollen es jedem einzelnen überlassen, wie er schreiben möchte.
November: Die Zwischenstaatlichen Kommission stellt in ihrem dritten, vertraulichen Bericht (2000 bis 2001) u. a. fest, die "Rechtschreibreform" sei an den Schulen problemlos eingeführt, aber in der Schriftsprache, vor allem in wissenschaftliche Literatur, immer noch nicht verankert. Auch diesmal werden keine Vorschläge unterbreitet, sondern nur Probleme der Getrennt- und Zusammen- sowie Groß- und Kleinschreibung diskutiert.
2002 April: Eine Umfrage des unabhängigen Instituts für Demoskopie in Allensbach belegt, daß die "Rechtschreibreform" nach wie vor auf breiten Widerstand der Bevölkerung stößt.
2003 November: Acht Akademien fordern, die "Rechtschreibreform" zu revidieren bzw. zu beenden.
2004 Januar: Der vierte Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission gelangt an die Öffentlichkeit und sorgt in der Presse sofort für erhebliche Unruhe: Die "Reform" soll de facto erneut "reformiert" werden, und die Kommission will sich von der Zuständigkeit der Kultusminister weitgehend befreien.
Juni: Die Kultusministerkonferenz bestätigt im Mainz einstimmig den 4. und letzten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für Rechtschreibung. Somit soll die Reform, wie 1998 geplant, zum 1. August 2005 in Deutschland in Kraft treten. Die Kommission in Mannheim wird aufgelöst und durch einen "Rat für deutsche Rechtschreibung" ersetzt, der auch Kritiker der Zwangsreform offenstehen soll. Etliche der bewährten Schreibweisen werden parallel zu neuen wieder erlaubt.
Juni: Der Orden Pour le mérite für Wissenschaft und Künste beschließt in Berlin, sein Jahrbuch wieder nach den bewährten Regeln der deutschen Orthographie vor 1998 zu verfassen.
Juli: Die Ministerpräsidenten des Saarlandes, Bayerns und Niedersachsens vereinbaren, die "Rechtschreibreform" der Ministerpräsidentenkonferenz vorzulegen, um sie dann möglicherweise zurückzunehmen und der Kultusminister-Konferenz (KMK) die Zuständigkeit dafür zu entziehen.
August: Der Spiegel, der Springer-Verlag und die Süddeutsche Zeitung kündigen ihre Rückkehr zur konventionellen Rechtschreibung an. Der Streit über die Rechtschreibung entflammt erneut.
September: Der niedersächsische Ministerpräsident Wulff spricht sich vehement für die Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung aus. Offenbar aufgrund des erneuten öffentlichen Streits über die "Rechtschreibreform" sinkt die Zahl ihrer Befürworter von 13 auf 11 Prozent.
Oktober/November: Die Tages- und Sonntagszeitungen des Springer-Verlags (Bild, Die Welt etc.) kehren zur deutschen Rechtschreibung zurück. Im November folgen die Zeitschriften des Verlages.
Oktober: Der niedersächsische Ministerpräsident gibt nach; die Kultusministerkonferenz hält an der "Rechtschreibreform" und am Termin ihrer Verbindlichkeit (1. August 2004) fest, will aber die Rechtschreibung auf Grundlage ihrer "Reform" durch einen nicht-repräsentativen "Rat für deutsche Rechtschreibung" als Nachfolger der Zwischenstaatlichen Kommission "weiterentwickeln" lassen.
Oktober: Die Süddeutsche Zeitung und Der Spiegel verzichten auf die angekündigte Rückkehr zur konventionellen Rechtschreibung und wollen das Ergebnis der Beratungen abwarten.
Oktober: Die "Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung" und das P.E.N-Zentrum sagen eine Beteiligung am "Rat für deutsche Rechtschreibung" ab.
Dezember: In Mannheim konstituiert sich als Nachfolger der Zwischenstaatlichen Kommission der "Rat für deutsche Rechtschreibung" unter dem Vorsitz des ehemaligen bayerischen Kultusministers Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair.
2005 1. August: Die "Rechtschreibreform" tritt in 14 von 16 deutschen Bundesländern eingeschränkt in Kraft: Getrennt- & Zusammenschreibung, Silbentrennung und Zeichensetzung werden nicht verbindlich, da der staatliche "Rat für deutsche Rechtschreibung" diese überarbeitet, und in Bayern und Nordrhein-Westfalen bleibt die Übergangsregelung bestehen, bis der "Rat" auch die übrigen "Reform"-Teile bewertet hat.
2006 24. Februar: Der staatliche "Rat für deutsche Rechtschreibung" beendet auf Wunsch der Kultusminister vorzeitig seine Revision der "Rechtschreibreform". Die Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Schreibweisen von Fremdwörtern und die ss-Schreibung kommen nicht mehr zur Sprache, die Groß- und Kleinschreibung wurde nur teilweise behandelt.
2. März: Die Kultusministerkonferenz (KMK) stimmt ohne Detailberatung den Vorschlägen des Rates für deutsche Rechtschreibung zu. Die Änderungen der Schulschreibung sollen vom 1. August 2006 an bundesweit umgesetzt und nach einjähriger Übergangsfrist gültig werden.
30. März: Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) billigt wie zuvor die KMK einstimmig die Änderungen der reformierten Schulschreibung.
31. Juli: Die Springer-Medien (Bild etc.) stellen auf die zwangsreformierte Schulschreibung nach Interpretation des Duden-Verlages um.
1. August: Die korrigierte "Rechtschreibreform" tritt offiziell in Kraft, es folgt für die Rechtschreibkorrektur an Schulen eine Übergangsfrist.
2007 1. Januar: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) paßt, wie am 01.12.2006 angekündigt, ihre Schreibung der zwangsreformierten Schulschreibung an; die Sonntagsausgabe (F.A.S.) folgt am 07.01.2007. Die Leser wurden nicht befragt.
1. August: Nach Ende der einjährigen Übergangsfrist wird die korrigierte "Rechtschreibreform" an Schulen verbindlich, also notenwirksam. Die deutschen Nachrichtenagenturen erstellen ihre Texte nun gemäß Empfehlungen von Duden und Wahrig für die Variantenschreibung.
2008 26. Juli: Eine Studie des Germisten Uwe Grund zeigt, daß Schüler seit dem ersten Inkrafttreten der "Rechtschreibreform" 1998 ca. doppelt so viele Fehler machen wie zuvor.
2009 1. August: Die "Rechtschreibreform" wird an Schweizer Schulen notenwirksam verbindlich.
2015 29. Juli: Der bayerische Ex-Kultusminister und Vorsitzende des "Rats für deutsche Rechtschreibung", Dr. Hans Zehetmair, nennt die Einmischung der Politik in die Rechtschreibung zum widerholten Male einen Fehler: "Das sollte nie wieder vorkommen, die Lektion haben alle gelernt."

Falls am linken Bildschirm-Rand keine Verweisleiste zu sehen ist, klicken Sie bitte auf , um den gesamten Frameset anzuzeigen.

Zur Leitseite nach oben Gesellschaft