Der Duden und andere Wörterbücher
Der Duden, 20. Auflage
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20. Auflage des Dudens |
Der Rechtschreib-Duden war jahrzehntelang ein Spiegelbild des allgemeinen Sprachgebrauchs und zugleich die anerkannte Autorität in Sachen richtiger Schreibung. Höhepunkt seiner Geschichte war die Zusammenführung des west- und ostdeutschen Wortschatzes in seiner 20. Auflage. Seit seiner 21. Auflage hat er sich von dieser wissenschaftlichen Tradition verabschiedet.
Auch der Duden hatte, wie viele Dinge des täglichen Lebens, unter einer deutschen Besonderheit zu leiden: der Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg. Vier Jahrzehnte lang gab es eine ostdeutsche, Leipziger Ausgabe und eine westdeutsche, Mannheimer Ausgabe. Der West-Duden dokumentierte seit 1955 auf Beschluß der Kultusminister die verbindliche Rechtschreibung. Im Herbst 1991 vollendeten dann die Duden-Redaktion und das "Lektorat Deutsch" im Bibliographischen Institut gemeinsam einen neuen Duden: die berühmte zwanzigste Auflage. Diese wurde nun nicht nur im Hinblick auf die westdeutsche Sprachentwicklung aktualisiert, sondern zusätzlich um DDR-typische Wörter ergänzt. Damit bildete seit langem wieder ein deutsches Wörterbuch den realen gesamtdeutschen Sprachstand ab. Es sollte zumindest aus der Duden-Redaktion auch das letzte sein:
Beschreiben, was ist: Ein Wörterbuch im wissenschaftlichen Sinne stellt das Ergebnis einer Erhebung sprachlicher Daten dar und ist daher immer "deskriptiv": Es 'beschreibt' neutral den tatsächlichen, den gebräuchlichen Wortschatz, die "Lexik" einer Sprache, und wie jeder Sprachwissenschaftler weiß, gilt das ebenso für jene Werke, die nicht die Lexik, sondern Struktur einer Sprache beschreiben: die Grammatiken. Beide zusammen dokumentieren den tatsächlichen Zustand einer Sprache.
Der Sinn dieser wissenschaftlichen Forderung an Lexika und Grammatiken wird klar, wenn man sich vor Augen führt, wie unterschiedlich die Vorstellungen vom korrekten Deutsch (Französisch, Englisch etc.) aus den unterschiedlichsten Gründen immer waren und sind: Hätte man etwa dem Dünkel, der Besserwisserei oder dem missionarischen Eifer einer Interessensgruppe nachgegeben, hätte sich bald die große Mehrheit des Volkes in diesem Wörterbuch nicht mehr wiedergefunden.
Der Versuch, mittels Wörterbuch oder gar Grammatik den Sprachgebrauch zu beeinflussen, kann nur bei nicht-muttersprachlichen Lernern einer Sprache auf mäßigen Erfolg hoffen, solange diese Lerner nicht mit der lebenden Sprache konfrontiert sind; bei Muttersprachlern selbst ist er fast gänzlich zum Mißerfolg verurteilt, wie das Beispiel unseres Nachbarlandes Frankreich lehrt, wo die geschriebene Sprache stärker als in anderen Ländern von der gesprochenen Sprache abweicht.
Selbst die "Rechtschreibreform" liefert dafür einen Beleg: Abweichend von ihrer grundsätzlich deskriptiven Aufgabe und Praxis hatte sich die Duden-Redaktion gelegentlich zu schwer verständlichen Einzelfall-Entscheidungen hinreißen lassen, die weder vom Regelwerk noch von einer sicheren Schreibpraxis gedeckt waren. Diese Schreibweisen (etwa: Auto fahren radfahren) wurden dann von den "Reformern" prompt als Begründung für eine Zwangsreform mißbraucht, die weit über die Behebung weniger Schwächen hinausgeht.
Vorschreiben, was sein soll: Mit der Tradition der wissenschaftlichen Dokumentation hat der Duden nun seit seiner 21. Auflage von 1996 grundsätzlich gebrochen, indem er nicht mehr beschreibt, sondern vorschreibt: er ist nun präskriptiv angelegt und damit wissenschaftlich unbrauchbar. Welcher Zweifelnde, der dieses Werk künftig konsultiert, wird dort noch erfahren können, ob eine Schreibweise oder Bedeutung die tatsächlich gebräuchliche oder nur die von höherer Stelle gewünschte ist? Und aus welcher übersichtlichen Quelle werden sich Sprachforscher in künftigen Jahrhunderten noch informieren können, welche Schreibweisen (und auch Bedeutungen) in unserer Zeit üblich waren? Dies sind die Stationen seiner neuen, wissenschaftsfeindlichen Karriere:
- Mit seiner 21. Auflage machte der Duden hat sich erstmals selbst zum Handlanger des Versuchs, eine Ausdrucksform unserer Sprache, nämlich die Schriftsprache, künstlich, weil von "oben" herab und durch Zwang zu verändern, und er tut dies konsequenterweise, indem er aus einem deskriptives Wörterbuch ein präskriptives Propagandamedium macht. Dies allerdings auch für sich selbst:
Auf die Frage, welches Regelwerk er den Lehrern empfehle, sagte der hessische Kultusminister Hartmut Holzapfel im Spiegel (41/1996): "Jedenfalls nicht den Duden in seiner neuesten Fassung. Der vermischt die neuen amtlichen Regeln mit eigenen Empfehlungen in einer Weise, die für den Benutzer schwer durchschaubar ist. [...] Der Redaktion fällt es wohl schwer, Abschied zu nehmen von der Zeit, in der sie die oberste Instanz für die Rechtschreibung war. Deswegen setzt sie die Neuregelung teilweise nach Belieben, teilweise sogar falsch um." Gleichzeitig warb der für den Bertelsmann.
- In der 22. Auflage wurden etliche Regeln nachgebessert bzw. in der Diktion der Redaktion "präzisiert", was aber dafür spricht, daß die Redaktion das Regelwerk selbst nicht verstanden hat. Tatsächlich enthält der neue Duden ähnlich dem Bertelsmann-Wörterbuch von 1999 und entgegen den Beteuerungen der Zwischenstaatlichen Kommission eine Reihe von Schreibungen, die sich aus dem amtlichen Regelwerk nicht ableiten lassen. Neu sind angebliche Schreibvarianten wie wieder aufbauen und wiederaufbauen oder wieder aufbereiten und wiederaufbereiten, die in Wirklichkeit zwei verschiedene Sachverhalte bedeuten.
- Die 23. Auflage des Dudens erschien am 28.08.2004. Das um 5000 Wörter erweiterte Werk beginnt mit einer Zusammenfassung der Änderungen am amtlichen Regelwerk, die die Kultusministerkonferenz (KMK) Anfang Juni bewilligte. Die Redaktion spricht wieder euphemistisch von "Präzisierungen und Ergänzungen", während die KMK behauptete: "Durch die Änderungen werden bisherige Schreibweisen nicht falsch."
Tatsächlich zeigen die Wortlisten die Änderungen in großer Zahl: So ist man "dahintergekommen", daß dieses Wort jetzt wieder zusammenzuschreiben und Verbindungen mit bleiben mal so und mal so zu schreiben seien: "hier bleiben", "dableiben", "dort bleiben", "wegbleiben". Etliche deutsche Wörter wurden "wiederhergestellt", aber zugleich "wieder hergerichtet", während man alte Einsichten nun "wiederaufbereiten" und "wieder aufbereiten" kann. Ähnliches gilt für "hierhergehörend" und "hierher gehörig", "schwerverletzt" und "schwer krank". Viele weitere Änderungen sind "ernstgemeint" und "tiefgreifend" und manchmal sogar "zufriedenstellend". Sogar dort, wo das Regelwerk sie gar nicht vorsieht, läßt der Duden "alleinseligmachend" jetzt Zusammmenschreibung zu. Die vielen Fehler der letzten beiden und auch dieser Auflage tun der Redaktion allerdings weiterhin nicht "leid", vielmehr sei entweder weiter "Leid tun" oder neu: "leidtun" zu schreiben. Varianten gibt es mehr als zuvor, wobei jeweils die Erfindung der "Reformer" an erster Stelle aufgeführt wird und die bekannte, konventionelle Schreibweise "auch" an zweiter.
- Die 24. Duden-Auflage vom 22.07.2006 ist bereits seine vierte "Reform"-Auflage. In mehrfacher Hinsicht unterscheidet sie sich von ihren Vorgängern: Mit 1216 Seiten und 130 Stichwörtern ist sie so umfangreich wie nie zuvor – und mit roten und gelben, hellblauen und dunkelblauen Unterlegungen bunter als je zuvor. Das Gelb signalisiert an ca. 3000 Stellen erstmals die "Empfehlung" der Redaktion in jenen Fällen, in denen der staatliche "Rat für deutsche Rechtschreibung" Varianten festgeschrieben hat; so soll es wieder aufwendig statt aufwändig, Spaghetti statt Spagetti, Du und Dein statt du und dein etc. heißen. (Allerdings: Unter du empfiehlt der Duden "mit jmdm. per du od. per Du sein", unter per dann aber "mit jmdm. per du od. Du sein".)
Jedoch beharrt die Duden-Redaktion in vielen Fällen auf den "reformierten" Schreibweisen von 1996 und ignoriert damit die Korrekturen des Rechtschreibrates: Während dieser z. B. sitzenbleiben (in der Schule) und sitzen bleiben (auf dem Stuhl) unterscheidet, meint der Duden: "Die Grundregel, nach der zwei Verben getrennt geschrieben werden, ist so eindeutig und einfach, dass wir ihre Anwendung auch bei übertragenem Gebrauch empfehlen." Das Ergebnis allerdings ist uneinheitlich: fernliegend soll es heißen, aber nahe liegend, Strom sparend, aber energiesparend, still sitzen, aber stillliegen. Empfohlen wird auch die Großschreibung artikelloser Scheinsubstantive wie in bei Weitem, seit Langem, ohne Weiteres. Geblieben ist somit das Prinzip des Reform-Dudens, die Sprache nicht mehr zu dokumentieren, sondern sie – auch am Rechtschreibrat vorbei – in eine bestimmte Richtung zu manipulieren und dabei sogar die Bedeutungen ihrer Wörter zu verändern.
- Die 25. Duden-Auflage vom 21.07.2009 enthält erstmals nicht mehr das amtliche Regelwerk. Ein verständlicher Schachzug: Man kann nun nicht mehr unmittelbar nachprüfen, ob der Duden die amtlichen Regeln korrekt umsetzt – was oft nicht der Fall ist! Außerdem sind die Reformschreibungen nicht mehr, wie bisher, rot markiert: Was alter und bewährter Schreibpraxis entspricht und was erzwungen neu ist, läßt sich nun nicht mehr unterscheiden. Die vom Duden (übrigens gegen den Rat für deutsche Rechtschreibung) empfohlenen Varianten bleiben zwar gelb unterlegt, stehen aber nun jeweils an erster Stelle: ein Versuch, auch gegen das amtliche Regelwerk das alte Orthographie-Monopol wiederzuerlangen. Immerhin wird die Dummheit dieser Empfehlungen so besonders deutlich: Furcht einflößend, aber furchterregend, Energie sparend, aber platzsparend, Raum sparend, aber zeitsparend, Profit bringend, aber gewinnbringend, hoch dotiert, aber hochdekoriert etc. Der Duden unterscheidet sich hier deutlich und negativ vom neuen Wahrig, der die Reformschreibungen weiterhin in Blau kennzeichnet und im allgemeinen näher am Schreibgebrauch bleibt, da er sich meist an die von der dpa vorgeschlagene Gemeinschaftsschreibweise für gedruckte Medien hält. Interessant ist, daß jetzt beide Wörterbücher vom Cornelsen-Konzern kommen.
Die Alternative: Gut ist, daß die deskriptive 20. Duden-Auflage längst einen würdigen Nachfolger gefunden hat: den Ickler ! An den Autor dieses Wörterbuches, den Germanistik-Professor Theodor Ickler, schrieb übrigens der inzwischen verstorbene ehemalige Leiter des Duden-Verlages im November 1996:
Die Reformer mißbrauchen die Reform schamlos, um sich Ansehen im Fach und in der Öffentlichkeit zu verschaffen, Eitelkeiten zu befriedigen und mit orthographischen Publikationen Geld zu verdienen. Selten habe ich erlebt, daß sich Menschen so ungeniert ausziehen und ihre fachlichen und charakterlichen Defizite zur Schau stellen.
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