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Rechtschreibreform: Aktuell
PDF: Stellungnahmen des Niedersächsischen Kultusministeriums
Extraseite: Stellungnahmen des Niedersächsischen Kultusministeriums

Der Hauptgrund für die Entscheidung der Volksinitiative, ihren Kampf nun aufzugeben, sind zwei Stellungnahmen des Niedersächsischen Kultusministeriums. Diese sind Anlagen eines Schreibens des Präsidenten des Niedersächsischen Landtages an die Eheleute Gabriele und Dr. Carsten Ahrens (Bardenfleth 14, 26931 Elsfleth) vom 23.02.2005, in dem er ihre Eingabe gegen die "Neuregelung der deutschen Rechtschreibung" beantwortet. Die Aussagen attackieren indirekt auch den Niedersächsischen Ministerpräsidenten und werden unten kommentiert. Kommentare

Stellungnahme
des Niedersächsischen Kultusministeriums

zur Landtagseingabe 946104/15, Gabriele und Dr. Carsten Ahrens, 27931 Elsfleth u.a.,
betr. Neuregelung der deutschen Rechtschreibung

Die Petenten gehören zu den Initiatoren der Volksbegehrensinitiative gegen die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in Niedersachsen, die seinerzeit gescheitert ist. In Ihrer Petition bitten sie den Landtag, der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung sofort und vollständig sämtliche Kompetenzen zu entziehen und zu einer einheitlichen und bewährten Rechtschreibung zurückzukehren. Der Niedersächsische Landtag möge durch entsprechende Beschlüsse darauf hinwirken, dass1 von einer zensurenrelevanten Einführung der Rechtschreibreform an den Schulen Abstand genommen wird und dass mit der Wiederherstellung einer einheitlichen Schreibweise eine Kommission aus unabhängigen Wissenschaftlern, Autoren und Journalisten beauftragt wird, vergleichbar der Academie Francaise. Für die Schulen sollte eine Übergangsfrist zur Wiedereinführung der herkömmlichen Schreibweise bis 2010 eingeräumt werden.

Anlass für die Petition ist die Vorlage des 4. Berichts der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung an die staatlichen Stellen im Dezember 2003. Darin schlägt die Kommission u.a. vor, dass sie ab 2005 nur alle fünf Jahre statt wie bisher in der Übergangszeit alle zwei Jahre über den Schreibgebrauch der deutschen Sprache berichtet und dass sie ermächtigt wird, über kleine Änderungen im Regelwerk selbst zu entscheiden.

Die Petenten äußern sich sehr kritisch zu diesem Vorschlag, man würde die Böcke zu Gärtnern machen. Das Reformwerk sei missraten, es habe der deutschen Schriftsprache unübersehbaren Schaden zugefügt und die Einheitlichkeit zerstört. Jeder Schreibende würde in Zukunft dem Diktat der Beschlüsse der Reformer ausgeliefert sein, die nicht mehr Rechenschaft ablegen müssten. Das würde über viele Jahre weiterhin Unsicherheit unter allen verbreiten, die mit Sprache zu tun haben. Vor allem wäre es ein Desaster für alle Schülerinnen und Schüler, für die die Schreibweise unserer Klassiker und namhaften Schriftsteller dann schlichtweg falsch wäre. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sei gegen einen Eingriff in das Kulturgut Sprache.

Dieser Petition schließt sich die Eingabe von Herrn Klaus Kolbe aus Sachsenhagen an, der bereits zweimal Petitionen in Sachen Rechtschreibreform an den Niedersächsischen Landtag gesandt hat, die mit Sach- und Rechtslage beschieden wurden. Dieser Petent zitiert ausführlich aus einem Artikel von Dankwart Guratzsch in „Die Welt“ vom 29.01.2004, in dem der 4. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission kritisch vorgestellt wird. Die weiteren Ausführungen und Forderungen decken sich mit denen der Eheleute Ahrens.

Schließlich hat sich Herr Günther Rose aus Norden in dieser Sache mit einer Petition an den Niedersächsischen Landtag gewandt. Dieser Petent nimmt Bezug auf Zeitungsmeldungen über den Protest von fünfzig Jura-Professoren gegen die Rechtschreibreform. Auch er fordert die Rückkehr zur alten Rechtschreibung des Duden von 1991.

Dazu ist Folgendes anzumerken:
Bei allem Verständnis für die Sorgen und Ängste von Teilen der Bevölkerung wird deutlich, dass es sich um Probleme der Erwachsenen2 handelt, die Schwierigkeiten haben, sich umzustellen. In den Schulen wird die neue Rechtschreibung seit 1998, in einigen Ländern seit 1996, ohne Probleme vermittelt. Nach den heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen und zahlreichen Verwaltungsgerichtsverfahren hat das Bundesverfassungsgericht am 14. Juli 1998 entschieden, dass das Verfahren zur Einführung der Reform korrekt war und dass die Reform Grundrechte nicht verletzt. Seither ist es in Konsensgesprächen der Zwischenstaatlichen Kommission mit den großen Wörterbuchverlagen Duden, Bertelsmann, Wahrig und dem Österreichischen Wörterbuch gelungen, die Schreibweisen in einem Maße zu vereinheitlichen, wie es zuvor noch nie erreicht worden ist. Die Presseagenturen haben die Reform zu etwa 95 Prozent übernommen und damit auch die Zeitungen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt ist, hat keine Rückkehrwelle ausgelöst3; sie erscheint im Internet selbst in neuer Schreibweise. Anfang März 2003 hat sich die konservative österreichische Tageszeitung Die Presse, die lange Gegnerin der Reform war, auf die Reform umgestellt. Die Buchproduktion in Deutschland ist zu 75 Prozent umgestellt. Die Schulbuchverlage haben ihre gesamte Produktion auf die neuen Schreibweisen umgestellt, darunter die seit kurzem fusionierten niedersächsischen Verlage Schroedel und Westermann4; außerdem haben sie Übungmaterial zum Erlernen der neuen Regeln entwickelt.

Eine Rücknahme der Reform würde großen wirtschaftlichen Schaden verursachen. Der Verband der Schulbuchverleger hat sich in den vergangenen Wochen mehrfach mit Schreiben an die Kultusminister gewandt und vor einer Rücknahme der Reform gewarnt.5

Die Petenten berücksichtigen nicht, dass die KMK und die Bundesregierung am 01. Juli 1996 in Wien die Absichtserklärung aller deutschsprachigen Staaten und Staaten mit deutschen Minderheiten zur gemeinsamen Einführung der Rechtschreibreform mit einer Umstellungsfrist bis zum 31.07. 2005 unterzeichnet haben.6

Die Petenten verkennen, dass eine Rückkehr zum Privileg des Duden, zuletzt in der Ausgabe von 1991, aus rechtlichen Gründen unmöglich ist.7 Bis dahin galt die amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung von 1902 und in Zweifelsfällen der Duden. Die Duden-Redaktion hatte 1950 und noch einmal 1955 unter dem Druck der Konkurrenz, besonders des Wörterbuchs von Knaur, heute Bertelsmann, die KMK um eine verbindliche Erklärung gebeten, welche Rechtschreibung gelten sollte. In Erwartung der Rechtschreibreform in kurzer Frist, die die KMK damals bereits in Auftrag gegeben hatte, versah sie den Duden mit dem Privileg, dass sein Wörterbuch in Zweifelsfällen maßgebend sein sollte. Eine erneute Ausstattung des Duden mit diesem Vorrecht würde sofort von den Konkurrenten gerichtlich angegriffen werden. Im Übrigen hat die Duden-Redaktion seit 1915 alle fünf Jahre eine neue Ausgabe des Wörterbuchs herausgebracht, dabei aber die Änderungen der Schreibweisen, die jedesmal hunderte von Wörtern betrafen, geheim gehalten. Das war psychologisch besonders geschickt, wie man heute sieht. Demgegenüber hat die Zwischenstaatliche Kommission bisher jeden Bericht veröffentlicht.

Die Petenten verkennen auch, dass es seit 1998 nach einem Votum des Deutschen Bundestages einen deutschen Beirat mit Vertretern der8 professionell Schreibenden – den Schriftstellern, Journalisten und Autoren gibt –, die die Zwischenstaatliche Kommission beraten. Dieser deutsche Beirat hat jeweils zu den Berichten der Kommission Stellung genommen, und zwar sehr positiv.

Die Petenten behaupten, dass die Schreibweisen unserer Klassiker durch die Reform als falsch hingestellt würden. Sie verkennen, dass die Schreibweisen deutscher Autoren immer den gängigen9 Schreibgewohnheiten angepasst worden sind. Lessing schrieb beispielsweise Dasse (Tasse), Tutzend ( Dutzend), bey Seite legen ( beiseite legen).

Der Protest der fünfzig Jura-Professoren ist fachlich nicht begründet. Eine Erörterung im Detail erübrigt sich hier. Die Zwischenstaatliche Kommission hat, wie es ihre Aufgabe ist, in ihrem dritten Bericht vom Dezember 2001 die Kritik an der Reform sorgfältig aufgearbeitet und jeweils verschiedene Lösungsmöglichkeiten mit Pro- und Kontra-Argumenten abgewogen. In ihrem vierten Bericht vom Dezember 2003 schlägt sie eine Reihe von Ergänzungen und kleinen Korrekturen des amtlichen Regelwerkes vor sowie zulässige Variantenschreibungen. Diesen Diskussionsstand haben die Jura-Professoren bei ihrem Protest nicht berücksichtigt.10

Mit Schreiben vom 21. Mai 2004 hat Rechtsanwalt Dr. Wasmuth eine Stellungnahme der Rechtswissenschaftler übermittelt, die eine Replik auf die Stellungnahme der Kultusverwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern darstellt, ergänzt durch ein sprachwissenschaftliches Gutachten von Prof. Theodor Ickler. Es werden keine neuen Argumente oder Belege für die behaupteten Schwächen der Reform und die behaupteten negativen Folgen der Reform vorgetragen. Vielmehr sprechen die Rechtswissenschaftler den Mitgliedern der Zwischenstaatlichen Kommission pauschal die fachliche Qualifikation ab und stellen die Berufung der Kommission und des deutschen Beirates unter den Verdacht der Manipulation.11 Schließlich fordern sie das Parlament zur Wahrnehmung seiner Kontrollfunktion auf. Das Gutachten von Ickler führt insofern nicht weiter, als es die Schwächen der früheren Duden-Regelungen ebenso unerwähnt lässt12, wie es eine sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Zielen der Reform vermissen lässt.13

Schließlich hat sich Herr Oberstudienrat a.D. Schweneker aus Hitzacker mit Schreiben vom 18. Juni 2004 der Petition angeschlossen. Er fordert den Landtag auf, die Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung zu beschließen – mit einer angemessenen Übergangsfrist für die Schulen. Neue Argumente bringt er nicht vor.

Neue Bewegung in die Diskussion ist durch den Anfang 2003 veröffentlichten Vorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gekommen. Das Präsidium der KMK hat im Frühjahr 2004 Gespräche zwischen der Kommission und der Akademie initiiert, die allerdings nicht zu einer Verständigung geführt haben. Die Grundpositionen waren zu unterschiedlich. Immerhin hat die Kommission danach ihren 4. Bericht in einigen Punkten verändert. Anfang Juni 2004 hat die KMK dann diesen Bericht mit den Änderungen beschlossen. In Österreich und in der Schweiz sieht man keinen Handlungsbedarf und verfolgt die deutsche Diskussion mit einigen Sorgen.

Wie in der Vergangenheit wird es auch in Zukunft ein Spannungsverhältnis von Norm und Usus geben. Wenn sich Regelungen auf Dauer nicht durchsetzen, müssen sie geändert werden. Alle paar Jahre muss in jedem Fall entschieden werden, welche Fremdwörter in ihren Schreibweisen eingedeutscht werden sollen. Insofern ist das Regelwerk nicht als starr zu betrachten. Entwicklung und Dynamik hängen von den Nutzern ab.14

Ministerpräsident Wulff hat Mitte Juni erklärt, dass er für eine Rücknahme der Reform sei, weil sie von der Mehrheit der Bevölkerung nicht angenommen worden sei. Darauf hat er öffentliche Zustimmung und ebenso Widerspruch erfahren. Es bleibt abzuwarten, welchen Verlauf die Erörterung des Pro und Kontra einer Rücknahme nimmt. Es ist derzeit nicht absehbar, wie man zur alten Duden-Rechtschreibung zurückkehren könnte und welche Folgen das hätte. Auszuschließen ist ein Alleingang Niedersachsens.15


Ergänzende Stellungnahme
des Niedersächsischen Kultusministeriums

zu der Landtagseingabe 946/04115,
Gabriele und Dr. Carsten Ahrens, 27931 Elsfleth u. a.,
betr. Neuregelung der deutschen Rechtschreibung

Die Diskussion um die Rechtschreibreform ist nach stürmischem Verlauf in den Sommermonaten 2004 auch heute noch nicht beendet. Anfang Juni 2004 nahmen die Kultusminister den 4. Bericht vom Dezember 2003 sowie den ergänzenden Bericht vom 18. Mai 2004 der Zwischenstaatlichen Kommission zur Kenntnis und beschlossen damit, dass die in diesen Berichten enthaltenen Änderungen zum 1. August 2005 in Kraft treten.

Das entsprechend überarbeitete Regelwerk und das Wörterverzeichnis liegen inzwischen vor. Sie sind unter folgender Adresse im Internet zugänglich: www.rechtschreibkommission.de.

Die Anregung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, die Reform zurückzunehmen und auf der Grundlage der alten Duden-Regeln erneut über Reformen nachzudenken, konnte sich nicht durchsetzen. Im Oktober 2004 empfahl die Konferenz der Ministerpräsidenten den Kultusministern, einen neuen Rat für deutsche Rechtschreibung einzusetzen mit dem Auftrag, auf der Grundlage der Reform über Verbesserungen zu beraten und Änderungsvorschläge zu erarbeiten, die der Reform eine breitere Akzeptanz in der Bevölkerung verschaffen. Eine Verlängerung der Übergangsfrist über den 31. Juli 2005 hinaus, die Niedersachsen befürwortet hatte, war nicht durchzusetzen.

Die Konferenz der Kultusminister beschloss Mitte Oktober 2005, einen international besetzten Rat für deutsche Rechtschreibung mit 36 Mitgliedern und einem Vorsitzenden einzurichten. Der Bund, die Schweiz und Österreich stimmten diesem Vorschlag zu, wobei die Politik nur die Institutionen bzw. Organisationen festlegte, die zur Mitarbeit eingeladen werden sollten, nicht aber die Mitglieder selbst. Der Rat sollte die bisherigen Gremien – die Zwischenstaatliche Kommission sowie zwei Beiräte – ersetzen und insbesondere Kritiker der Reform in die Überarbeitung einbinden.

Die Zwischenstaatliche Kommission wurde zum Jahresende 2004 aufgelöst und der neue Rat für deutsche Rechtschreibung konstituierte sich am 17. Dezember. Zum Vorsitzenden wählte er den Staatsminister a.D. Hans Zehetmair, den früheren bayerischen Kultus- und späteren Wissenschaftsminister.

Der Rat soll möglichst zeitnah Vorschläge zur Veränderung der besonders umstrittenen Bereiche der Rechtschreibreform vorlegen, damit die Kultusminister noch vor Ablauf der Übergangsfrist darüber entscheiden können. Diese Bereiche sind die Groß- und Kleinschreibung sowie die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Integration von Fremdwörtern und die Zeichensetzung. Im Übrigen soll der Rat die Entwicklung der Schreibgewohnheiten beobachten und alle fünf Jahre einen Bericht an die staatlichen Stellen erstatten, in dem er Änderungen des Regelwerks oder veränderte Einzelschreibweisen vorschlagen kann. Der Rhythmus von fünf Jahren entspricht der Praxis in den Nachbarländern und dem Vorgehen des Duden, der seit 1915 ebenfalls alle fünf Jahre eine neue Ausgabe herausgebracht hat.

Manche Kritiker und auch Mitglieder des Rates plädieren für eine möglichst große Staatsferne des Rates. Diese scheint bei der jetzigen Zusammensetzung des Rates gegeben. Dennoch kann sich der Staat und damit die Politik nicht völlig zurückziehen.16 Was in der Schule verbindlich sein soll und durch die Fehlerbewertung Konsequenzen für die Schullaufbahn bzw. die Schulabschlüsse haben kann, muss von den Kultusministern genehmigt werden.


PDF: Stellungnahmen des Niedersächsischen Kultusministeriums

Kommentare

Etliche Aussagen des Kultusministeriums werden im folgenden kommentiert. Die Aussagen sind jeweils durch hochgestellte Ziffern markiert, ein Klick darauf führt jeweils zu den entsprechenden Kommentaren:

  1. Bereits die Verwendung des Neuschriebs ("dass" etc.) ist als bewußt unhöflich zu kritisieren: Die Petenten sind keine Schüler und haben ihre Petition in deutscher Rechtschreibung verfaßt. Ihnen statt in der gängigen, von der Bevölkerungsmehrheit bevorzugten Rechtschreibung in einer "Reform"-Schreibung zu antworten ist eine vorsätzliche Provokation. Wie hätte das Ministerium wohl reagiert, wenn die Petition in einer abweichenden Schreibung verfaßt worden wäre?
  2. Die auch hier wiederholte Aussage, es handele sich "um Probleme der Erwachsenen", die Schwierigkeiten hätten, sich umzustellen, zeigt erneut, daß die "Reformer" und ihre Mitläufer bis heute weder die Funktion von Sprache im allgemeinen noch die Auseinandersetzung um ihre Rechtschreibung verstanden haben oder verstehen wollen:
    1. Natürlich ist Sprache einschließlich ihrer Aussprache und Schreibung ein Thema und Problem der Erwachsenen: Erst in der Erwachsenenwelt erreicht sie ihre volle Ausprägung, dort (in Wissenschaft und Technik, Beruf und Kultur etc.) hat sie sich zu bewähren, indem sie Kommunikation auf höchsten Niveau sicherstellt.
    2. Erwachsene, die ihre Sprache ernst nehmen, haben kein Umstellungsproblem, sondern ein Akzeptanzproblem: Sie wollen keine andere Rechtschreibung. Es war und ist nicht Aufgabe der Erwachsenen, sich auf eine vermeintliche Kinderschreibung umzustellen, sondern Aufgabe der Kinder, die Sprache, Aussprache und Schreibung der Erwachsenen zu lernen. Vitae, non scholae discimus! – fürs Leben lernen wir, nicht für die Schule! Dieser bekannte Spruch ist alt, aber keineswegs veraltet.
    3. Der Widerstand der Erwachsenen rührt auch von der ungeheuerlichen Anmaßung weniger Beamten und Politiker, besser wissen zu wollen, welches Sprachverhalten für Kinder richtig ist, als deren eigene Eltern.
    4. Mit der dummen Behauptung schließlich, eine Zwangsreform sei "ohne Probleme vermittelt" worden, ließe sich jede staatliche Zwangsmaßnahme als richtig rechtfertigen. War der Mauerbau richtig, weil er erfolgreich a) durchgeführt wurde und b) die Menschen an der Flucht hinderte? Und erwartet man von Lehrern, daß Sie zugeben, die "Reform" nicht vermitteln zu können?
  3. Die Lüge im Februar 2005, die Frankfurter Allgemeine Zeitung habe keine Rückkehrwelle ausgelöst, läßt sich auch mit dem längsten Büroschlaf nicht entschuldigen; sie soll wohl provozieren, denn jeder weiß, daß alle Printmedien des Springerverlages seit dem Herbst 2004 wieder in deutscher Rechtschreibung erscheinen. 1996 wurden praktisch 100% der Bücher in konventioneller Rechtschreibung produziert, und kein Verlag kannte die neuen Regeln; die Kultusminister sahen sich dadurch aber nicht daran gehindert, die die "Reform" an Schulen durchzusetzten. Jetzt hingegen soll die Mehrheit der publizierten Titel ein zwingendes Argument dafür sein, nicht zu einer Schreibweise zurückzukehren, die jeder Erwachsene kennt!?
  4. Der Hinweis, auch zwei fusionierte niedersächsische Schulbuchverlage hätten "ihre gesamte Produktion auf die neuen Schreibweisen umgestellt", beweist nur, wie gering die freiwillige Akzeptanz der "Reform" ist: Die Umstellung erfolgte nicht aus Überzeugung oder Sympathie, sondern weil die Verlage ohne Anpassung keine Bücher mehr hätten verkaufen dürfen.
  5. Dieselben Ministerien, die in den neunziger Jahren den Schulbuchverlagen eine Umstellung auf deren Kosten zumuteten, möchten jetzt angeblich "großen wirtschaftlichen Schaden" abwenden und zitieren zum Beweis Schulbuchverleger, die nicht auch noch ein zweites Mal für den Unfug des Staates bluten wollen. Die anderslautenden Aussagen des Klett-Verlages werden dabei "natürlich" nicht erwähnt ...
  6. Die 1996 in Wien unterzeichnete Absichtserklärung "zur gemeinsamen Einführung der Rechtschreibreform" braucht nicht berücksichtigt zu werden, da sie bekanntlich nicht völkerrechtlich bindend ist. Im übrigen würden die übrigen Staaten schnell wieder zur konventionellen Rechtschreibung zurückkehren, wenn Deutschland dies täte: Das Streben der Mitläufer nach Einheitlichkeit wirkt in beide Richtungen ...
  7. Die Unterstellung, die Petenten forderten die Rückkehr zum Duden-Privileg, wird eingangs schon durch ihre eingangs zitierte Forderung widerlegt, "dass mit der Wiederherstellung einer einheitlichen Schreibweise eine Kommission aus unabhängigen Wissenschaftlern, Autoren und Journalisten beauftragt wird, vergleichbar der Académie Française." Abgesehen davon hat sich der Duden durch seine Abkehr von seiner deskriptiven Tradition unter Reformkritikern endgültig diskreditiert. Die hessische FDP z. B. forderte im Oktober 2004: "Die Rechtschreibung wird künftig weder vom Staat noch durch besonders dazu beauftragte Kommissionen, Institute oder Verlage geregelt. Die frühere identifikatorische Bindung der Rechtschreibung an den Duden ('Dudenprivileg′) wird nicht wieder eingeführt."
  8. Die Petenten verkennen keineswegs, wer in diesem Beirat saß: eben nicht die "Vertreter" der professionell Schreibenden, da diese niemals demokratisch Vertreter für den Beirat bestimmt haben. Die große Mehrheit der Profis bis hin zu Literaturnobelpreisträgern hat sich vielmehr gegen die Reform ausgesprochen.
  9. Die Petenten verkennen auch nicht, daß die Schreibweisen deutscher Autoren den "gängigen" Schreibgewohnheiten angepaßt wurden; zur Zeit geschieht jedoch etwas anderes: Kultusministerien maßen sich an, ihre von der Bevölkerung nicht angenommene Schreibregelung als "gängig" hinzustellen und den seinen Lesern vertrauten deutschen Literaturschatz gemäß einer ihnen fremden Schreibnorm zu verfälschen.
  10. Natürlich ist der Protest der fünfzig Jura-Professoren fachlich begründet – eine Erörterung im Detail fürchtet das Ministerium offensichtlich:
    1. Begründet ist der Protest schon deshalb, weil er nicht einige kleine Korrekturen und Variantenschreibungen des amtlichen Regelwerkes angreift, sondern dieses grundsätzlich.
    2. Die Kultusministerkonferenz will besser als selbst Jura-Professoren wissen, welche Schriftsprache für die Rechtspflege die bessere ist.
    3. Die angeführten zulässigen Variantenschreibungen sind zudem einer der vielen Schwachpunkte, da sie nicht tatsächliche Varianten des Schriftsprachgebrauchs dokumentieren, sondern im Regelfalle eine erfundene Variante ins Spiel bringen und diese sogar anmaßend an erste Stelle setzen.
  11. Wenn Rechtswissenschaftler den Mitgliedern der Zwischenstaatlichen Kommission pauschal die fachliche Qualifikation absprechen, so mit Recht: Es wäre Aufgabe der Sprachwissenschaftler unter den Kommissionsmitgliedern, Sprache zu beschreiben, nicht zu manipulieren, denn die Linguistik ist als Wissenschaft deskriptiv. Für die Rechtswissenschaft und andere gesellschaftliche Bereiche außerhalb der Schule ist die Kommission zudem weder zuständig noch qualifiziert. Dennoch zielt sie explizit auf die flächendeckende Umstellung der Rechtschreibung.
  12. Die Kritik des Ministeriums, das Ickler-Gutachten lasse die Schwächen der früheren Duden-Regelungen unerwähnt, beweist die fehlende linguistische Qualifikation der "zuständigen" Beamten und Politiker: Die Aufgabe eines wissenschaftlichen Wörterbuchs ist bekanntlich, den tatsächlichen aktuellen Sprachstand zu beschreiben; seine Aufgabe ist nicht, den Sprachstand gemäß irgendwelcher pseudo-pädagogischer oder anderer ideologischer Wunschvorstellungen zu verbiegen. "Schwächen" hatten frühere Duden-Ausgaben also nur dort, wo die Duden-Redaktion der Versuchung erlag, Schreibungen am allgemeinen Gebrauch vorbei besserwisserisch festzulegen ("eislaufen", "Ski laufen", "Rad fahren", "autofahren", "zugunsten", "zu Lasten" etc.). Ausgerechnet diese präskriptiven Sündenfälle wurden und werden von den "Reformern" – auch von der Duden-Redaktion – als Grund für die "Reform" angeführt.
  13. Eine "sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Zielen der Reform" zu vermissen setzt sprachwissenschaftliche Ziele der "Reform" voraus. Diese aber gab und gibt es nicht, denn Wissenschaft hat den Gegenstand ihrer Forschung zu beschreiben, nicht zu ändern. Hätte Ickler schwerpunktmäßig die Umsetzung der Ziele begutachtet – hätte er also die vielen Regeln und Einzelfestlegungen der "Reform" mit den (vermeintlichen) Zielen statt mit der deutschen Sprache selbst verglichen –, dann hätte er seine wissenschaftliche Reputation eingebüßt. (Ein Verbrechen ist vor Gericht nach den Bestimmungen des Gesetzes zu beurteilen, nicht nach den selbstgesteckten Zielen des Täters.) Die Forderung des Ministeriums zeigt – wie schon unter Punkt 2 – ein weiteres Mal, daß die "Reformer" und ihre Mitläufer bis heute weder die Funktion von Sprache im allgemeinen noch die Auseinandersetzung um ihre Rechtschreibung verstanden haben oder verstehen wollen.
        Abgesehen von der Abwegigkeit ihrer Forderung muß sich das Ministerium auch die Kritik gefallen lassen, die immer wieder nachgewiesen hat, daß selbst die falschen Ziele der "Reform" nicht erreicht wurden und werden.
  14. Die Feststellung, "auch" in Zukunft werde es ein "Spannungsverhältnis von Norm und Usus" geben, ist heuchlerisch: Das aktuelle Spannungsverhältnis ist nicht natürlich, es wurde künstlich, nämlich durch staatlichen Eingriff, auf die Spitze getrieben. Daß Entwicklung und Dynamik eigentlich von den Nutzern abhängen, ist als deskriptive Aussage richtig; in der jetzigen Situation ist es eine primitive Lüge derjenigen, die die Sprache aktuell in ihrer natürlichen Entwicklung behindern.
  15. Daß ein Alleingang Niedersachsens auszuschließen sei, ist in den vorstehenden Stellungnahmen vielleicht die einzige Aussage, die die wahren Gründe für das unbeirrte Festhalten des Staates an einer gescheiterten "Reform" beleuchtet: Man streitet alles ab und redet alles schön, nur um den Eindruck zu vermeiden, man bleibe wider bessere Einsicht bei der gemeinsam beschlossenen "Reform". Der Hauptgrund für die Sturheit dürfte also Feigheit sein: die Angst, in eine Außerseiterolle zu geraten, und die Angst, seine Feigheit zugeben zu müssen; lieber tut man mit allen gemeinsam das Falsche als alleine das Richtige.
        Die Kritik des Niedersächsischen Kultusministeriums an dem, was alles angeblich "verkannt" oder "nicht berücksichtigt" wurde (ab Punkt 6), trifft natürlich auch den Ministerpräsidenten dieses Landes. Wenn das Ministerium recht hat, muß Herr Wulff ein ziemlich unfähiger Landeschef sein. Hat er selbst aber recht, dann weiß er sich nicht gegen die falsche Kritik seines Kultusministerium durchzusetzen und hat vielleicht mehr sein Standing in der Bundespartei im Auge als das Schicksal der deutschen Sprache.
  16. Die Behauptung, der Staat und damit die Politik könne sich "nicht völlig zurückziehen", wird nur scheinbar schlüssig begründet: Was richtig ist und daher in der Schule verbindlich sein soll, muß keineswegs von Kultusministern genehmigt werden; diese sollten die Lehrpläne festlegen, aber nicht die Lehrinhalte. Warum sollte das im Fach Deutsch anders sein als etwa in Mathematik oder Physik?

Die Aussagen dieses Kultusministeriums zeigen erneut: Wer die Macht hat, braucht sich um die Macht seiner Argumente nicht zu scheren.



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